München, 14. Februar 1917.
An das Generalkommando 1. Bayr. Armeekorps
München.

Durch die Bürgermeisterei Gr.-Hadern wird mir eine Anordnung zugestellt, dass mir jederlei Veröffentlichung eines von mir verfassten, bisher aber weder gedruckten noch sonst vervielfältigten oder verbreiteten Aufsatzes "Die Mobilmachung als Kriegsursache und anderes" untersagt wird, weil ich darin nachzuweisen versucht hätte,

"dass die von deutsch- oder vaterlandsfeindlicher Seite vorgebrachten Behauptungen über die Entstehung des Krieges berechtigt seien. Die Ausführungen des Aufsatzes sind geeignet, die Interessen der Landesverteidigung zu gefährden."

Ich bestätige die Mitteilung dieses Verbots, lehne es aber sachlich in seinem ganzen Umfang ab.

Ich lehne es ab, weil eine solche Anordnung im Widerspruch zu den verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheiten steht, weil sie unvereinbar mit der Ehre eines Schriftstellers ist, und weil endlich die weitere Durchführung dieser administrativen und präventiven Justiz geeignet ist, das Ansehen, die Sicherheit, ja die Existenz des deutschen Volkes zu bedrohen und zu vernichten.

Mir steht verfassungsrechtlich die Freiheit der Meinung und des Wortes zu. Niemand kann mir im voraus verbieten, politische und geschichtskritische Betrachtungen zu verfassen und zu veröffentlichen. Widersprechen meine Veröffentlichungen dem allgemeinen Strafge-

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setz, so habe ich die Verantwortung vor den ordentlichen Gerichten zu tragen.

Die Berufung auf das bayerische Kriegszustandsgesetz ist hinfällig. Es mag dahingestellt sein, ob auf Grund dieses Gesetzes etwa die administrative Erledigung von Malzverschiebungen und dergleichen ermöglicht wird, über die staatsbürgerliche Freiheit des politischen Urteils und der öffentlichen Aussprache darf nicht - kraft dieses Gesetzes - administrativ verfügt werden. Das Kriegszustandsgesetz ist im Oktober 1912 ausdrücklich zu dem Zweck geschaffen worden, um Rechtssicherheit auch in Kriegszeiten zu gewährleisten, die es im Bereich des preussischen Belagerungszustandsgesetzes nicht gibt. Es ist seinerzeit im bayerischen Landtag die feierliche Erklärung wiederholt abgegeben worden, dass durch das Gesetz die politische Meinungsfreiheit nicht beschränkt werden solle. Das Gesetz soll auf diesem Gebiete höchstens eine Handhabe gegen die unbefugte Veröffentlichung von militärischen Nachrichten geben - was ich durchaus billige - nicht aber darüber hinaus die unbedingt notwendige kritische und aufklärende Mitarbeit der öffentlichen Meinung irgendwie hindern. Die mir zugegangene Verfügung ist demnach - in Bayern -rechtswidrig.

Die Anordnung aber ist auch unvereinbar mit der Berufsehre eines Schriftstellers. Der Schriftsteller hat die Aufgabe, die Wahrheit gewissenhaft zu suchen und, wenn er sie gefunden hat, zum Nutzen der Allgemeinheit zu bekennen und zu verbreiten. Das ist die Zivildienstpflicht des Schriftstellers, die zu den allerwich-

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tigsten Pflichten und unveräusserlichen Rechten der heutigen Gesellschaft gehört. Es wäre verächtliche Feigheit, zumal in Zeiten dieser Weltkatastrophe, die mühsam und mit peinlicher Vorsicht erarbeitete Ueberzeugung zu verschweigen. Die Wahrheit ist das höchste aller nationalen Güter. Ein Staat, ein Volk, ein System, in dem die Wahrheit unterdrückt wird, oder sich nicht hervorwagt, ist wert, so rasch und so endgültig wie möglich zugrunde zu gehen.

Ich nehme ausserdem, unter den gegenwärtigen Umständen, selbstverständlich jede durch Gewissen und Pflicht gebotene Rücksicht. Ich schreibe nie eine Zeile in ausländische Organe, auch nicht in befreundete neutrale, und ich vermeide auch geflissentlich jede direkte oder indirekte Verbindung mit dem neutralen, geschweige dem feindlichen Ausland. Ich betrachte es gegenwärtig nicht als meine Aufgabe, auf die öffentliche Meinung des Auslandes zu wirken, die ich auch gar nicht bedarf, sondern meine ganze Arbeit vollzieht sich innerhalb Deutschlands (von gelegentlichen Veröffentlichungen in Oesterreich abgesehen), in voller Oeffentlichkeit, und ich decke alles, was ich schreibe, mit meinem Namen. Meine Arbeiten sind auch durchaus nicht derart, das Ausland ungünstig gegen das deutsche Volk zu beeinflussen, sie sind vielmehr im Gegenteil - wie jede ernste Tätigkeit im Dienste der Wahrheit - geeignet, den nicht zum wenigsten durch das heutige Treiben der "gutgesinnten" und behördlich geschützten und beeinflussten Presse gesteigerten Welthass gegen Deutschland zu mildern, also

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eine im tiefsten Sinne nationale Wirkung zugunsten der Landes- und Volksverteidigung zu üben.

Indem ich jeden willkürlichen Angriff auf die Wahrheitspflicht des Schriftstellers ablehne, erkläre ich damit zugleich meine Bereitwilligkeit, jeder Aufklärung über Irrtümer und Unrichtigkeiten in meinen Arbeiten Gehör zu schenken. Wenn das Generalkommando demnach in der Lage sein sollte, mich auf derartige Irrtümer und Unrichtigkeiten in dem angefochtenen Aufsatz aufmerksam zu machen, so würde ich, wenn ihm der Nachweis gelingt, nicht nur selbstverständlich die notwendigen Aenderungen vornehmen, sondern ich wäre auch dem Generalkommando für solche Aufklärung zu lebhaftem Dank verpflichtet.

Endlich wird zur Begründung der Massnahme des Generalkommandos angeführt, dass ich die "von deutsch- oder vaterlandsfeindlicher Seite vorgebrachten Behauptungen über die Entstehung des Krieges" als berechtigt übernommen hätte. Es dürfte dem Generalkommando so gut wie mir bekannt sein, dass es über die Entstehung dieses Krieges in der ganzen Welt, unter den Wissenden und Unterrichteten, keine zwei Meinungen mehr gibt, und dass es also schon deshalb gegenstandslos ist, zwischen deutschfeindlichen und deutschfreundlichen Anschauungen in diesem Falle zu scheiden. Das ist lediglich eine Angelegenheit wissenschaftlicher Erkenntnis und kritischen Urteils über offenkundige und unzweifelhafte Tatsachen. Unter vier Augen gestehen auch in Deutschland die hervorragendsten Staatsmänner und Diplomaten - ich wäre in der Lage, Namen und Zeugen zu nennen - den unleug-

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baren, klaren Sachverhalt. Mir scheint nun dieses doppelte Spiel eines für die Vertrauten, eines für die Oeffentlichkeit, im höchsten Grade unwürdig und verderblich. Kann es wirklich zum Heile des deutschen Volkes und Vaterlandes sein, dass nur innerhalb seiner Grenzen Verwirrung und Blindheit über seine Lebensfragen und Daseinsaufgaben herrscht, während jenseits der deutschen Grenzen Wahrheit und Klarheit Allgemeingut ist? Wo ein solches System doppelter Buchführung, ein solches Vertuschen, Verhehlen und Verdunkeln um sich greift, ist - das habe ich als Historiker immer wieder bestätigt gefunden - die nationale Katastrophe nahe. Wenn Deutschland für seine freie Entwicklung, um die Politik der "Einkreisung" zu durchbrechen (und das ist doch die deutschamtliche These!), kein anderes Mittel mehr fand, so braucht es eben den Krieg, es müsste ihn herbeiführen und es durfte dann auch nicht den Mut fehlen lassen, sich dazu zu bekennen. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn das gerade auch die Anschauung jeden deutschen Militärs ist, zumal ja, nach der in Deutschland ausnahmslos herrschenden militärischen Ueberzeugung, Kriege Stahlbad und Gesundbrunnen für die Völker sind. Ich vermag nicht einzusehen, warum, im Sinne dieser Ueberzeugung, die Behauptung, dass Deutschland den Krieg herbeigeführt hätte, weil es - nach der Meinung der Verant-wortlichen - keinen anderen Ausweg mehr gab, irgend etwas für Deutschland Herabsetzendes haben könnte, sofern die Anschauungen der herrschenden Kreise über die Notwendigkeiten deutscher Politik und über das nationale Mittel des Krieges als richtig

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anerkannt und zugrunde gelegt werden. Es dünkt mich auch absurd, dass die Verantwortlichkeit für die Herbeiführung eines Krieges die Landesverteidigüng beeinträchtigen soll, damit würde sich ja der Krieg und die Landesverteidigung selbst aufheben. Für diese Anschauung habe ich durchaus Verständnis, dass die für die deutsche Politik Verantwortlichen ihre als notwendig anerkannte Politik mit dem "anderen Mittel" der Politik, eben dem Krieg (um mit Clausewitz zu reden) fortzusetzen sich genötigt sehen. Aber es scheint mir unmoralisch und feig, sich zu dem Kriege nicht offen zu bekennen, wenn man ihn aus Gründen politisch-nationaler Sicherheit und Entwicklung herbeiführen und führen zu müssen glaubt. Von der Aussichtslosigkeit der Irreführung zu schweigen.

Ich denke freilich über den Krieg im allgemeinen und die Notwendigkeit dieses Krieges im besonderen anders wie die zivilen und militärischen Vertreter der herrschenden Klassen in Deutschland. Ich lehne jede Belehrung über die Art, wie ich meinen Patriotismus zu betätigen suche, ab. Das habe ich allein zu verantworten und zu entscheiden. Die wenigen Verantwortlichen dieses Krieges sind nicht Deutschland, die paar Schuldigen des Weltverderbens nicht das Vaterland. Wenn ich also gegen die für den Krieg verantwortliche Regierung und deren Kriegspolitik, die nach meiner Ueberzeugung das deutsche Volk in den Abgrund führt, kämpfe, wenn ich darum die geschichtliche Wahrheit über den Krieg feststelle; wenn ich dahin strebe, dass andere Männer die Führung übernehmen, die fähig sind, einen für Deutschland, Europa und die

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Menschheit förderlichen Frieden zu schliessen, weil sie für die Entfesselung des Krieges nicht verantwortlch sind wenn ich schliesslich meiner sozialdemokratischen Ueberzeugung treu geblieben bin, dass es die Aufgabe und die Fähigkeit des Proletariats sei (nach den Umstä nden dieses Krieges also in erster Linie des deutschen Proletariats), als der internationalen Klasse, jedem Vaterland und jedem Volk zum Heil des Weltfriedens zu wirken, - so tue ich damit nicht nur, was mein gutes Recht ist, sondern ich diene auf die allerernsteste Weise meinem Vaterlande, indem ich an der Hebung seiner moralischen Wehrtüchtigkeit mithelfe, für seine Geltung in der Gesellschaft der Völker arbeite und durch Aufklärung über seine Existenzbedingungen um seine Sicherung und Rettung ringe.

Das Generalkommando hat durch seine Verfügung seine Amtspflicht ausgeübt. Ich ehre das Amt und die Pflicht, verlange aber auch die gleiche Achtung, nicht um meiner gleichgültigen Person, sondern um meines Berufes willen, für das frei gewählte Amt des Schriftstellers, mit dessen Amtspflicht es unvereinbar ist, ein Verbot als rechtmässig und erträglich anzuerkennen, von der Art des mir zügegangenen Schriftstücks.

Ich bitte, mir den Empfang dieser Rechtsverwahrung, der im gegebenen Falle die Beschreitung des Rechtsweges folgen wird, zu bestätigen; zur öffentlichen Bekanntgabe und Erörterung dieser Rechtsverwahrung sei das Generalkommando ausdrücklich ermächtigt.

Kurt Eisner.

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