Die Kritik
Wochenschau des öffentlichen Lebens
Berlin, den 22. August 1896
III. Jahrgang Nr 99

Provinzialbriefe
VIII. Die Limonadenseele

Einer der gefräßigsten Krebsschäden unserer Zeit ist bekanntlich nach den tiefsten Zeitgenossen die erweichte Mitleiderei, die Gefühlsseligkeit. Ihr verdanken wir die sogenannte soziale Frage, welche das unverdaute Christenthum etlicher wirrköpfiger Pastoren nicht zur Ruhe kommen läßt, zum großen Schaden unserer Industrie, die an Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt durch die ewigen Störungen erhebliche Einbußen erleidet. Dieser selben weiblichen unklaren Zerflossenheit, diesem physischen Gewebezerfall, dieser ethischen Zuckerkrankheit verdanken wir aber auch die Kolonialskandale, die uns zum Spott der ganzen zivilisirenden Welt machen, und deren sensationelle Ausbeutung durch eine allen Philister-Instinkten sklavisch ergebene Oeffentlichkeit dem nationalen Ansehen und dem nationalen Reichthum enorme Verluste zufügte, für die jene gewissenlosen Moralgigerl schwerlich Ersatzpflicht leisten werden. Die grassirende Humanitätscholera – bald sind die Weiber, bald die Probirmamsells, bald die lieben Schwarzen Gegenstand der allerzärtlichsten Neigungen – richtet größere Verheerungen in dem Deutschbewußtsein an, als der heimtückische Kommabacillus, und wenn uns nicht bald ein fröhlicher Krieg aus der nationalen Erschlaffung aufrüttelt, so laufen wir Gefahr, in flennender Kulturentartung zu Grunde zu gehen!

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Mit welcher skrupellosen Verlogenheit diese Ethomanen die Ehre des deutschen Namens dem Gelächter preisgeben, das zeigen eben die jammervollen Treibjagden auf die besten Männer aus germanischem Blut, die mit Lebensgefahr für Kaiser und Reich die Aufgabe erfüllten, den Negerbestien in Afrika zum Heile des Vaterlandes zu imponieren. Man hat nicht eher geruht, bis man die verdienstvollen Helden in dem Schleim ekler Massenentrüstung erstickte. Ein Leist muss jetzt in Chicago Lustmörder vertheidigen, ein Peters prostituirt sich zähneknirschend mit Federfuchsereien über Englands Weltmachtsentwicklung, ein Wehlan irrt suchend nach einem neuen Amt umher, und den allergrößten Kulturarbeiter Afrikas, einen Faust der That, den Friedrich Schröder, haben die Herren vom grünen Tisch zu Tanga, die keine Ahnung von den wirklichen Verhältnissen haben, gar ins Zuchthaus geschickt, zur großen Freude unserer englischen Vettern, die damit die gefährlichste Konkurrenz los werden. Es ist bezeichnend, daß die Leute, die stets von Sittlichkeit triefen, auf die unsittlichste Weise die Männer verfolgen, die kein anderes Verbrechen begangen haben, als daß ihre ragende Größe den winzigen Krämerseelen ein Gegenstand ohnmächtigen Neides ist. Denn es muß einmal offen gesagt werden, diese ganzen Kolonialslkandale sind von Anfang an bis Ende Märchen, gemeine Erfindungen, die bösartigen Zettelungen einer mit englischem Gelde arbeitenden Clique, die keinen anderen Zweck haben, als den wirklichen Schuldigen des kolonialen Niedergangs, einen warmen Freund der Engländer, im Verborgenen zu halten, indem die Aufmerksamkeit des deutsche Publikums von ihm abgelenkt wird. Daher muß uns jeder Tag einen neuen Kolonialskandal bescheeren, um des einen Schuldigen willen werden Massenopfer von Unschuldigen dargebracht, und die dupirte Oeffentlichkeit letzt sich an erfundenen Tendenzenthüllungen, während der Schuldige weiter seine Verrätherdienste fremden Interessen widmen darf. Wir sind nun in der Lage, diese Persönlichkeit zu entlarven. Gestützt auf untrügliches Material erheben wir in aller Form die Anklage, daß unsere Kolonialverwaltung, obwohl sie nicht im Unklaren sein kann, stillschweigend duldet, daß jenes Individuum bisher straffrei geblieben ist, daß, um ihn zu schonen, die Peters, Leist, Wehlan und Schröder – in der letzten monatlichen Rechnungslegung der sozialdemokratischen Partei wird man das englische

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Honorar für die Bebel'schen Anklagen im Reichstag finden – zu Tode gehetzt wurden. Wir verzichten für heute darauf, den Namen der Persönlichkeit und der Kolonie zu nennen, den Eingeweihten werden die Andeutungen genügen, um zu wissen, auf wen sie zielen. Gerade jetzt, wo man in dem hochverdienten Jesko von Puttkamer ein neues Opferlamm schlachten will, ist es höchste Zeit, dem verderblichen Spiel ein Ende zu machen und den Thäter der unerhörtesten Kolonialgreuel an den Pranger zu stellen.

Jener traurigste Augenblick der deutschen Geschichte, die unvergessliche Entlassung Otto Bismarck's, war auch entscheidend für das Schicksal dieser Kolonien. Man weiß, welche unsägliche Rathlosigkeit in jener Zeit tiefster Nationaltrauer allgemein herrschte. Die Minister, die bis dahin in dem schützenden Schatten des Großen gelebt hatten, wurden plötzlich an das grelle Licht gezogen, und man sah sie nun schwitzen in all ihrer Winzigkeit. Der damalige Leiter der Kolonie, die wir meinen, gehörte zu den wenigen Getreuen des gestürzten Kanzlers, die sofort ihr Amt aufgaben, entschlossen, ihrem Meister in die Verbannung zu folgen. Die Lage in der Kolonie ward deshalb sehr schwierig, die Schwarzen, die in dem weißen Herrn einen streng aber gerecht prügelnden Vater verehrten, drohten, den Theuren mit Gewalt zurückzubringen, namentlich da ihre Weiber erklärten, ohne ihn nicht mehr leben zu können. Es musste auf der Stelle ein Nachfolger gefunden werden. Eigentlich kam nur eine einzige Persönlichkeit in Betracht. Einen Tag vor der definitiven Ernennung aber wurde in Folge einer Indiskretion sein Name in den Zeitungen veröffentlicht, und damit war er natürlich unmöglich geworden: Ein anderer war nicht zur Stelle, und da, in der höchsten Noth, nahm man die Dienste eines sich anbietenden Mannes an, der weiter kein Verdienst hatte, als daß er etwa zehn Jahre ohne die geringste Schutztruppe Afrika durchwandert hatte. Als Bismarck damals ein vertrauter Freund über die überraschende Wahl befragte, antwortete er mit jenem unnachahmlichen feinen Lächeln: “Seit dem Sozialkongreß sind die Limonadenseelen obenauf„, und fügte er mit einem jener packenden landwirthschaftlichen Gleichnisse hinzu: “Sie wollen Lämmer vor ihre Pflüge spannen.„ Bismarck's Warnwort verhallte natürlich wirkungslos.

In der Kolonie selbst machte die Runde, wer zum neuen

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Herrn ausgewählt sei, den denkbar schlechtesten Eindruck. Dieser Günstling des anarchischen Zufalls, der seit Bismarck's Demission herrscht, hatte ein Vorleben, das die schlimmsten Befürchtungen erweckte. Schon auf dem Gymnasium zeichnete er sich durch ekelhaften Fleiß aus, unmännlich, undeutsch, wie er war, trank er weder, noch rauchte er. Selbst als Primaner war er noch nicht so gereift, daß er rothe Laternen als Wegweiser zu deutscher Kraftbethäthigung zu erkennen vermochte. Man sagte ihm nach – das ist freilich unerwiesen – daß er schon auf dem Gymnasium Kant gelesen habe. Jedenfalls steht so viel fest, daß er sein wüstes Leben auf der Universität fortsetzte. Weder mit dem Bierkomment, noch mit Quecksilber und Jodoform wußte er Bescheid. Dafür ergab er sich der ausschweifendsten Arbeitsvöllerei, kein Wunder, daß er bereits nach sechs Semestern sein Examen bestand und sein militärisches Dienstjahr ohne erhöhte Qualifikation abschließen mußte. Damals soll er zum Marxisten geworden sein und er wurde deshalb von allen anständigen Menschen gemieden. Ausgestoßen wie er war, fröhnte er dem Spiel – es war charakteristisch für die Limonadenseele, daß Robert Schumann im Spiel sein Liebling war – und statt im Café Reck Würde und Männlichkeit zu gewinnen, studierte er auf seiner Bude. Bisweilen sah man ihn selbst in Wäldern sich umhertreiben, überflüssig zu sagen, daß er nie fehlte, wenn Ibsen's ebenso unsittliche und undeutsche Farcen in irgend einem Winkeltheater aufgeführt wurden. Dazu entstanden in dem durch die erwähnten Ausschweifungen zerrütteten Hirn allerlei wirre Phantasien. Seine Lieblingshallucination pflegte er in dem ulkigen Schwatz von dem kulturellen Weltberuf des Deutschthums zu äußern, und mit der eigensinnigen Konsequenz eines Narren glaubte er aus diesem Grunde unsere große vaterländische Kolonialpolitik, die Bismarck's weitschauender Geist geschaffen, unterstützen zu müssen. Das war aber offenbar nur ein Vorwand, um für einige Jahre spurlos in Afrika zu verschwinden, nachdem ihm der Boden in Deutschland zu heiß geworden war. Er soll während dieser Zeit Pflanzen und Käfer gesammelt haben, beseelt von einem unwiderstehlichen Drange, unschuldige Wesen zu tödten.

Einem solchen Mann also lieferte der neue Kurs die Kolonie aus. Schon am zweiten Tage begann die unerhörte Mißwirthschaft, welche man bei einem zivilisirten Menschen für unmöglich

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halten sollte. Von einer Art Cäsarenwahnsinn ergriffen, erließ er, unmittelbar nach seiner Ankunft, ein drakonisches Edikt, durch das er die Einziehung aller Nilpferdpeitschen verordnete. Die schwarzen Bestien, welche sich bereits völlig an dies Kulturmittel gewöhnt und seine Segnungen begeistert anerkannten, hatten nicht übel Luft, zu rebelliren, und ihre gerechte Empörung steigerte sich zu wilder Wuth, als der einen Brutalität sofort eine andere, noch schlimmere folgte: Die Benutzung der Nilpferdpeitsche wurde unter Strafe gestellt. Zeigte schon die gewaltsame Einziehung den Einfluß sozialistischer Lehren, so stammte die Strafansetzung ganz aus dem Bannkreis der Guillotine. Es war klar, der Mann litt am Humanitätskoller, und jede neue Handlung bewies, daß in dem von Grund aus verdorbenen Menschen die letzte Spur von Anstand, Schneidigkeit, Korrektheit und imponirender Energie erstickt war.

Da hatte er z.B. sich ein Frauenzimmer mitgebracht, mit dem er sogar verheirathet war und dem er sich ausschließlich widmete!! Keine Ahnung von den Pflichten gegenüber den eingeborenen Damen, nicht der geringste Sinn für reizvolle Abwechslung. Daß er die schwarzen Damen platonisch traktirte, war schon gefährlich, unklug und zeigte die niedrige Gesinnung, daß er sie niemals unter Aufrollung der Lendentücher prügelte, war schamlos, daß er aber nicht einmal so viel Muth und Würde besaß, hin und wieder eine aufzuknöpfen, das war geradezu, es muß gesagt werden, eine Taktlosigkeit. So weit aber ging er in seiner kaum noch zurechnungsfähigen Brutalität, daß er sämmtliche Beamte der Kolonie zwang, sich gleichen Freveln an der afrikanischen Kulturthätigkeit zu ergeben. Es durften weder mehr den schwarzen Damen galante Aufmerksamkeit erwiesen werden, man durfte sie weder streicheln, noch striegeln, noch hängen. Die Folgen sollten sich bald zeigen.

In gleicher Weise wurde der Patriotismus systematisch untergraben. Früher war es eine schöne Sitte, an Kaisers Geburtstag und sonstigen vaterländischen Gedenktagen etliche Dörfer anzuzünden, und mit ein paar Dutzend Männern, Frauen und Kindern die lodernden Flammen zu garniren. Jetzt hörte das auch auf. Es war selbstverständlich, daß sich damit alle Begriffe der Schwarzen verwirren mußten. Welche Achtung konnten sie noch vor den Deutschen haben, wenn sie sich nicht einmal mehr patriotisch bethätigen! Selbst die besten und geduldigsten eingeborenen Freunde der Deutschen

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klagten über Zurücksetzung und unerträgliche Tyrannei, und die in ihren heiligsten Gefühlen verletzten Weiber stachelten sie noch mehr auf.

Die aller Zivilisation Hohn sprechende Tyrannei bewies sich auf jedem Gebiete. Bisher überließ man in liebenswürdigster Weise patriotisch gesinnten Kaufleuten große Stücke für billiges Geld, die sie dann mit einigen wenigen tausend Prozent Verdienst weiter verkauften. Das förderte die Kultur außerordentlich. Auf einmal wollte nun die Regierung nichts mehr verkaufen, sondern nur noch verpachten. Die Entrüstung über solchen, gar nicht mehr verhüllten Anarchismus konnte kaum gezügelt werden. Ebenso wurde der Verkauf von schwarzen Männern und Frauen verboten, die sich selbstverständlich nicht wenig ob dieser Entwerthung erbosten. Um das Maß des Unerträglichen voll zu machen, wurde für alle Beamte dreistündige Dienstzeit eingeführt. Die reinste Sklaverei!

Und dieser Mensch, der dergestalt mit dem Schicksal der Kolonie und seiner Bewohner sein grausames Spiel trieb, der es wagte, wie ein Nero zu herrschen, war in seinem Privatleben der erbärmlichste Geselle. Tags schlich er sich heimlich in die Schule und wohnte dem Unterricht der schwarzen Burschen bei, in einer Art jämmerlicher geistiger Päderastie, die er - - Wohlwollen nannte!! Nachts aber saß er auf, und brachte seine bösen Gedanken zu Papier. Er schrieb über die wirthschaftliche Zukunft der Kolonie – welche Narrheit! – er studirte die Sprache der Eingeborenen und erniedrigte sich so weit, ihre Märchen und Lieder zu sammeln. Um ein Beispiel dieser entsetzlichen Thätigkeit zu geben, sei hier nur eines der von ihm aufgezeichneten Negermärchen weitergegeben:

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Vieh und Weibern. Da priesen die Minister und Hoflieferanten ihn und nannten ihn den Sohn des großen Gottes. Das Volk jedoch stand und betete ehrfürchtig zu seinem vergötterten Herrn und arbeitet für ihn und starb für ihn, und die Todesstrafe stand auf jedem unehrerbietigen Gedanken; wer aber den König mit lautem Wort lästerte, wurde lebendig den Löwen vorgeworfen zum Fraß, und wer gar schändlich behauptete, es sei ein Fürst nicht von Nöthen, dem wurde die Haut abgezogen und der blutende leib in die sengende Sonne gelegt. So lange man aber denken konnte, wurden niemals solche Strafen verhängt, denn der Stamm war von Natur fromm geartet, und seinen Fürsten zu lieben war ihm Luft und Noth zugleich, wie der Hunger und die Liebe. Der große Gott hatte die Fürsten eingesetzt, Bana Bill und seinen Vater und seinen Großvater und seinen Urgroßvater und so weiter bis zu dem Ahnherrn des gewaltigen Geschlechts, der bei der Schöpfung der Welt den Stamm der Fürstennarren – so nannten der Stamm höhnisch die wilden Barbaren der Nachbarschaft – zeugte. So war es und blieb es, und stets gab das Volk ihm die Hälfte dessen, was ihm zuwuchs, und die Minister und Hoflieferanten jauchzten dem erhabenen Herrscher zu, dem Sohn des großen Gottes, dem König von Gottes Gnaden. Es war aber ein Weiser im Lande, der heilte alle Krankheiten und kannte die Wurzeln der Dinge und hatte viel gesehen, fremde Stämme und Sitte. Der zersann sich den Kopf, wie sein Stamm just mit dem monarchistischen Trieb behaftet sei, und er schrieb dicke Bücher über das seltsame ding und meinte schließlich, daß die Seele seines Volkes eine Kammer mehr habe als die der übrigen Stämme, und daß in dieser Kammer verborgen der Trieb zum Fürsten sei, der stärker sei und heiliger als die Liebe zu Vater und Bruder. Nun begab es sich aber, daß weiße Menschen sich nieder ließen in der Residenz Bana Bills. Die besaßen viel Perlen, bunte Röcke mit güldenen knöpfen, feine Hölzer, mit denen man zwischen den Zähnen bohrt, wenn man gegessen, blinkende Schwerter und kunstvolle Rattenfallen. Des Königs Herz aber begehrte nach den köstlichen Dingen, und er kaufte sie den weißen Menschen ab für vieles Vieh und Früchte. Bald mangelte ihm, womit er zahlen konnte. Die weißen Menschen aber wußten Rath. Sie liehen ihm funkelndes Gold, und dafür verschrieb er den Ertrag seines Landes den weißen Menschen, und that einen

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großen heiligen Blutschwur, daß er erfüllte, was er gelobt. Das Geld aber zerrann ihm und Bana Bill mußte alles, was er bekam und besaß, den weißen Menschen geben, wie er geschworen. Bald hatte er nichts mehr, womit er seine Minister und Hoflieferanten lohnte, denn selbst die Weiber verkaufte er den weißen Menschen. Da murrten die Minister und Hoflieferanten und fragten: Ist das unser König? Und als Bana Bill gar begehrte, daß das Volk ihm alles brächte, was er besäße, und daß die Minister und Hoflieferanten, treu ihrem Herrn, zurückbrächten ihn von dem, was er und sein Vater und sein Großvater und sein Urgroßvater ihnen gespendet, da sprachen die Minister und Hoflieferanten zum Volk: Was nützet er uns? Frisset er uns nicht auf und unsere Habe? Lasset uns ihn ermorden! Da rottete sich das Volk zusammen und folgte den Ministern und Hoflieferanten zum Palast des Königs und es ging um die Runde, daß der Königsmord nicht bestraft werde; denn es stand nicht in den Gesetzen, weil Niemand so Ungeheuerliches zu denken gewagt. Bana Bill aber war von den weißen Menschen gewarnt worden; da flüchtete er sich zu ihnen und verkaufte sich selbst und ging mit einem Manne über das Meer und stund von nun an jegliche Nacht an der Thüre eines glänzenden Hauses, in das gingen viele weiße Männer und Frauen, um die Zungen zu letzen und sich zu beschauen mit feurigen Blicken. Zur selbigen Zeit aber knüpfte sich der Medizinmann, der aller Dinge Wurzel kannte, an einer schlanken Palme auf, in zehrendem Wahnsinn. Die Fürstenkammer in der Volksseele, die Entdeckung seiner Lebensarbeit, hatte sich ihm als Trug erwiesen, und sein armer Geist war nicht stark genug, des Räthsels erdrückende Last zu tragen. Wo war sie gebliebe, die heilige Liebe des Volkes zu seinem Herrscher, den Sohn des großen Gottes? Fortgeweht auf einmal der Glaube an Gottesgnadenthum und all der fromme Unterthanentrieb, der seinen Stamm leitete seit dem Anfang aller Dinge . . . . . .

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Es möge diese eine Probe genügen, um zu zeigen, womit unser Kolonialheld seine Zeit vertrödelte, wie es uns denn anwidert, weiter in dem Schmutze seine Unthaten zu wühlen. Die Besten unserer Kolonien sandten wiederholt an das Berliner

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Kolonialamt Beschwerden und verschwiegen nicht die furchtbaren Folgen, die solche Mißwirthschaft haben müßte. Alles vergebens. Selbst als sie auf seine nichtswürdigen hochverrätherischen Bündeleien mit den Engländern hinwiesen, erreichten sie nichts. Und doch trieb er sein Handwerk ganz offenkundig. Engländer gingen in seinem Hause aus und ein, einmal bediente er sich sogar amtlich der englischen Sprache. Leute, die seine Antezedentien kannten, behaupteten, er habe schon früher in verdächtiger Weise englische Interessen gefördert. Shakespeare soll er seinen besten Freund genannt haben, ja seine undeutsche Gesinnungslosigkeit ging soweit, daß er einmal erklärte, Thomas Morus, ein auf dem Schaffot verstorbener Gentlemen, sei größer, als unser Otto Bismarck.

Kein Wunder, daß er, im Vertrauen auf mächtigen Schutz, immer übermüthiger wurde. Er hatte eine krankhafte Abneigung gegen Alkoholica. Nicht nur daß er seinen Beamten den Schnapsgenuss untersagte, dass selbst den Champagner nicht dulden zu können erklärte, er versuchte, sogar den Schwarzen den Branntwein zu entziehen. Zu diesem Zwecke stellte er das unglaubliche Ansinnen an die deutsche Reichsregierung, die Schnapseinfuhr nach den Kolonien zu verbieten. Jetzt endlich schien man auch im Mutterlande einzusehen, weß Geistes Kind dieser Kolonialleiter war. Freilich, der damals amtirende Reichskanzler Caprivi, unwissend, kurzsichtig und beschränkt wie er war, zeigte sich geneigt, den Vorschlag zu acceptiren. Eine ungeheure Erregung bemächtigte sich infolgedessen aller väterlicher Gesinnten. Man entsinnt sich der flammenden Worte, mit denen damals die “Zukunft„ im Namen der wertheschaffenden Stände gegen das Attentat auf das deutsche Volk und im Interesse unserer schwarzen Brüder, gegen diesen Exzeß des Caprivismus protestirte. Der Artikel machte einen großen Eindruck, zumal da sein Verfasser 14 Tage in Afrika und 8 Tage auf einem Gut in Hinterpommern gewesen war und dergestalt sachverständig genug war, um autoritativ versichern zu können, daß ein solches Verbot nicht nur den Ruin der heimischen Landwirthschaft bedeuten, sondern auch eine beispiellose Unmenschlichkeit den Schwarzen gegenüber darstellen würde. Minder bekannt ist, daß trotzdem Caprivi eigensinnig auf seinem Plan beharrte, und daß dies der eigentliche Anlaß zu seinem Sturz wurde. Alles athmete auf, als

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endlich mit der Beendigung der caprivistischen Episode auch jener Kolonialbeamte zurückberufen wurde.

Indessen die Fehler, die er begangen, waren nicht mehr gut zu machen. Der wachsende Unmuth der Schwarzen, den sie hinter einer gewissen grinsenden Gutmüthigkeit zu verbergen verstanden, machte sich unmittelbar nach der Entlassung des verhaßten Mannes gewaltsam Luft. Es kam zu jenen verheerenden Aufständen, die unsere Kolonien an den Rand des Abgrundes gebracht haben. Die koloniale Einheit kann nur mit Blut und Leder geschmiedet werden, hat ein großer Staatsmann gelegentlich gesagt. Es ist begreiflich, daß die Schwarzen die Mißachtung dieses Prinzips auf das Schwerste erbitterte. Sie hatten für immer verlernt, sich von dem Deutschen imponiren zu lassen, und die Rückkehr zu der bewährten Kulturthätigkeit konnte die Folgen jener wüsten Wirthschaft nicht mehr aufhalten, obwohl die Zahl der Nilpferdpeitschen verdreifacht, die schwarzen Weiber selbst unter gesundheitlicher Aufopferung der Beamten verhätschelt, und die Dörfer in erhebendem Umfang illuminirt wurden. Die Schwarzen blieben unversöhnlich, verbittert und voller Verachtung gegen die Deutschen.

Gleichwohl ist bisher dem Zerstörer unserer Kolonien kein Haar gekrümmt worden. Er sitzt ungestört in Deutschland und treibt litterarische Unzucht. Auf ihn und seine Clique sind alle die Kolonialskandale zurückzuführen, die zur boshaften Freude der Engländer gerade die besten und erfolgreichsten unserer Afrikaner ihrer Wirksamkeit entführten. Der Schuldige aber erfreut sich derweile in behaglicher Muße des Erfolgs seiner Verleumdungen. Wie lange wird die Kolonialverwaltung noch warten, bis sie den Menschen zur Verantwortung zieht? Wie lange wird sie sich noch von seinen Spießgesellen dupiren lassen und Unschuldige statt des Schuldigen zur Strecke bringen? Die Schädigung am Deutschthum ist heute schon unermeßlich, das beleidigte Deutschgewissen will und wird das Treiben nicht länger dulden.

Tat-Twam.