Rede Kurt Eisners auf der Arbeiter- und Sozialistenkonferenz in
Bern, 3. bis 10 Februar 1919.

Donnerstag, 6.2.1919, vormittags

Zur Stellung der Sozialisten zum Völkerbund, zu Fragen des Friedensschlusses, der Volksheere und der Wehrpflicht

Gestern hat sich der Völkerbund verwirklicht, ganz scheu, bang, als ob er sich noch nicht recht getraute, als ob er seiner Sache noch nicht recht sicher wäre, und ohne stürmische Kundgebung, ganz bescheiden. Vielleicht war das der rechte Anfang eines lebendigen Völkerbundes, so im stillen geboren zu werden, ganz unscheinbar, und doch der Stern von Bethlehem am Himmel.

Parteigenossen! Ich glaube, wir sollten den gestrigen Tag nicht vergessen. Wir sollten nicht warten, bis die Vorbereitungen für einen normalen internationalen Kongreß getroffen werden, sondern wir sollten sofort in allen Ländern anfangen zu arbeiten, um diesen Völkerbund des Proletariates auch lebendig zu machen. (Beifall)

Es kann nicht so sein, daß der Friede diktiert werde von irgendeinem Forum, es kann auch nicht so sein, daß der Friede vor dem Völkerbund kommt, sondern der Friede kann nur sein das Werk eines neuen proletarischen Völkerbundes. Nur dann wird Friede auf Erden.

Parteigenossen! Ich glaube, wir sollten mit dieser Arbeit sofort beginnen, ein jeder in sei nem Lande, mit dem allerschärfsten Kampf und der größten Rücksichtslosigkeit gegen die Gewalten, die diesen Völkerbund hemmen wollen.

Wenn wir anfangen mit dieser Arbeit, wenn wir der Meinung sind, daß nur der vorausge hende Völkerbund zum Frieden führt, müssen wir ein Wort über jene Macht sagen, von der die uns vorgeschlagene Resolution nichts sagt. Wenn es uns gelingen möchte, daß wir aus jener weltzerstörenden politischen Theorie des Gleichgewichtes der Weltmächte herauskommen und diese Theorie ersetzen durch die lebendige Schöpfung des Völkerbundes, dann sollten wir Sorge tragen, daß nicht eine letzte zerstörende Weltmacht in ihrer bisherigen Wirksamkeit bestehen bleibt, jene Macht, die die Wälder der Erde abholzt, um die Seelen der Menschen zu vergiften. Ich finde in der Resolution kein Wort über das, was man "öffentlichen Geist", "öffentliche Meinung" nennt. Ich finde in ihr kein Wort über die Bedeutung der Presse. Ich bitte die hier anwesenden Herren der Presse um Entschuldigung; ich meine nicht Sie (Heiterkeit). Aber ich bin ja einer der merkwürdigsten Menschen insofern, als ich meine Revolutionsregierung begonnen habe mit dem schärfsten und erbarmungslosesten Kampfe gegen die Presse, und wenn wir anfangen wollen, für den wirklichen Völkerbund zu wirken, so müssen wir ein Organ haben, das überall in der ganzen Welt die öffentliche Meinung wirklich beherrscht und entgiftet. Ich möchte an die Herren der Presse den Appell richten, daß sie sich ihrer Verantwortung nun doch endlich einmal bewußt werden und aufhören, durch Lüge und Verhetzung die Völker zu zerreißen, denn wenn irgendeine Macht mitschuldig am Kriege ist, so ist es die Presse. (Beifall). Wenn wir daher die Verantwortlichen vor Gericht ziehen wollen - ich gestehe offen, daß ich deshalb ein Gegner solcher Kraftverfolgungen bin und bleibe - dann gehören diejenigen zuoberst, die die Macht des Geistes so schändlich mißbraucht haben. (Sehr richtig! Beifall).

Nun noch einige Bemerkungen und Ergänzungen zur Resolution, die uns vorgelegt wurde. Man greift den Völkerbund von zwei Seiten an. Die Gegner bilden zwei Reihen. Die einen, die Kleinmütigen, meinen: Solange die kapitalistische Gesellschaft besteht, ist überhaupt kein Völkerbund möglich. Die anderen sagen: Wenn schon ein Völkerbund käme, so wäre er machtlos. Denn Recht wird durch Macht gebrochen. Allerdings ist es das Wesen alles Rechtes, daß es gebrochen werden kann, aber das Recht des Völkerbundes steht nicht anders da als irgendein nationales Recht, z. B. ein Strafrecht. Jedes Recht kann gebrochen werden. Aber ich glaube, wir können noch andere Sicherungen für den künftigen Völkerbund finden außer in dem, was hier in der Resolution vorgeschlagen wird, durch wirtschaftlichen Zwang. Demgegenüber möchte ich auf eine andere sichernde Maßnahme hinweisen.

Gerade jetzt, da die Völker, namentlich die Zentralmächte, in der Umwandlung begriffen sind und sich neue Verfassungen und Gesetze geben, wäre es höchst wichtig, daß die Grundsätze des Völkerbundes in das nationale Gesetz aufgenommen werden. Wenn es zu den Satzungen des Völkerbundes gehört, daß kein Krieg erklärt werden darf, bevor nicht wenigstens ein Schiedsgericht angerufen wird, so müßte in jede Nationalverfassung und in jedes Strafgesetzbuch und Militärrecht der Nationalstaaten die Bestimmung aufgenommen werden, daß niemand verpflichtet ist, in den Krieg zu ziehen, wenn die Voraussetzung der völkerrechtlichen Satzung nicht gegeben ist, und daß jeder Staatsmann sich strafbar macht, der einen derartigen Aufruf erläßt; und ich glaube, nachdem der Begriff Hochverrat in der Welt zu Ehren gekommen ist, daß wir einen neuen Begriff in die Weltgeschichte einführen müssen: Als schwerstes und nicht sühnbares Verbrechen ist der Weltverrat aufzustellen in allen nationalen Strafgesetzbüchern der Welt.

Die englischen Freunde haben an uns die Frage gerichtet, wie wir uns zum Militarismus stellen. Die Frage ist schon von meinen Parteigenossen der deutschen Mehrheit klar und unzweideutig beantwortet worden. Ich möchte aber noch weiter gehen. Wenn ich die Stimmung in Deutschland richtig erkenne, so sind wir militaristisches Volk durch die Erfahrungen des Krieges so antimilitaristisch geworden, daß wir - wenigstens im Süden

- nicht einmal mehr wünschen, daß unsere sozialdemokratische Forderung durchgeführt werde: Die Forderung nach Volksheeren. Bei uns im Süden ist keine Forderung volkstümlicher als die der vollständigen Beseitigung der allgemeinen Wehrpflicht unter der Voraussetzung, daß sie überall erfolgt. (Zustimmung) Klarste und einzig mögliche Lösung scheint mir nur die völlige Beseitigung der Armeen zu sein (Bravo), auf daß unsere Jugend nicht mehr in ihren besten Jahren, statt zu schöpferischer Arbeit verpflichtet zu werden, dem öden Drill in den Kasernen sich widmen muß. (Bravo!)

Es sind die ungeheuersten sozialen, selbst hygienischen Forderungen, die diese letzte und äußerste Forderung in sich schließt. Die völlige Abstinenz vom Militarismus ist das einzige Mittel gegen ihn. Der alte Gedanke der Volksheere beruhte doch nicht nur auf der Meinung, daß man sich gegen den äußeren Feind wehren müsse, sondern auch auf dem Grundsatz, daß jeder freie Mann fähig sein müsse, mit seiner Flinte die Freiheit seines eigenen Ichs zu schützen gegen die reaktionären Mächte im Innern. Deshalb ist gerade die freie Schweiz zum Musterland des Volksheeres geworden. Aber in der Zeit der Handgranaten, Giftgase, der 42-cm-Geschütze, und Maschinengewehre ist die Flinte ohnmächtig geworden. Aus diesen technischen Gründen ist die ursprüngliche Idee der Volksheere mit dem Zweck, die Freiheit zu schützen, nach außen und innen, eine Illusion geworden, und jedes Volksheer würde heute doch wieder zum Militarismus auch in demokratischen Ländern führen müssen.

Kommt der Völkerbund und mit ihm der neue Geist über die Menschheit, dann beneide ich unsere Jugend, die in einer neuen Luft aufwachsen wird. Man hat sehr viel Böses und Schlimmes von Deutschland gesprochen. Aber schon vor dem Kriege waren gerade bei uns in Deutschland die ersten verheißungsvollen Anzeichen einer neuen Jugend lebendig. Der Blutstrom des Krieges hat die alte Jugend nun hinweggeschwemmt, getötet. Eine neue Jugend wird überall in der Welt im neuen Geiste des Völkerbundes aufwachsen. Wir haben in Deutschland unter der Zensur schon in den ersten Kriegsjahren die Jugend gesammelt, und als nicht von Politik geredet werden durfte, da haben wir in München die Internationale wiederhergestellt, den Völkerbund der Geister, indem wir vor der Jugend sprachen über die Weltliteratur der Gegenwart und dabei alle jene Männer verherrlichten, die von der führenden deutschen Presse beschimpft und geschmäht wurden.

So gehen Sie hinaus, Genossen, rüsten Sie sich für den Völkerbund, bereiten Sie ihn geistig vor, realisieren Sie ihn schon jetzt, sonst diktiert Paris ihn. Unser Werk aber soll diesen Völkerbund erst schaffen, und dann kommt auch der Friede! (Beifall.)