Marx-Feier.

Karl Marx. Geschichte seines Lebens, von Franz Mehring.
XII und 344 S. Leipzig 1918. Druck und Verlag der
Leipziger Buchdruckerei Aktiengesellschaft.

I.

An den Gedenktagen der geistigen Führer, die im klassischen Zeitalter die Befreiung des deutschen Bürgertums kündeten, pflegte die sozialdemokratische Presse zu höhnen, daß die heutige Bourgeoisie, frierend in der armseligen Öde ihres seelischen Daseins einen zugleich frechen und lächerlichen Götzendienst mit den Heroen treibe, von deren Wesen sie keinen Hauch verspürt hätte und die sie erst zu kümmerlichen Zwergfratzen verkrüppeln müßte, um nicht von der wahrhaften Größe erschreckt und erschlagen zu werden. Wir unternahmen es dann, das Bild ihres geistigen Lebens und Wirkens zu entwerfen, und nannten uns stolz ihre Erben.

Jetzt aber kam der Tag, da wir dem Denker unsers eigenen Blutes, dem deutschen kämpfenden Genius des internationalen Proletariats an dem Jahrhunderttage seiner Geburt huldigen konnten und man -wiederholte in läppisch stümpernder Nachahmung jene bürgerlichen Jubiläumsposen: eine sozial-national-liberale Partei, die sich würdeloser und dümmer von der Sozialdemokratie losgelöst hatte, als einst die deutschen Liberalen von der Demokratie, feierte Karl Marx, der wahrlich nicht in seinen finsteren Stunden sich das Schicksal vermutet hätte, hundert Jahre nach seiner Geburt in Anspruch genommen zu werden von einer Partei seines Heimatlandes, die nach dem Sieg

221

der russischen Revolution, nach dem ersten Versuch, den Großgrundbesitz zu sozialisieren und Marx zu verwirklichen, keine größere Sorge hatte, als durch taktische Gerissenheit sich in dem Lager von Regierungspartien behaupten zu dürfen, die einen unverhüllt konterrevolutionären Krieg führten. Er hätte sich unter dem Albdruck nicht träumen lassen, daß ihn dereinst Parteiführer als ihren Meister ansprechen würden, die - um mit ihm zu reden - das Mundstück für all die tapferen Worte sind, die man ruft, wenn man davonläuft, deren ganze Lebenskraft günstigstenfalls in die - gespaltene - Zunge geflüchtet ist. Aber er wurde gefeiert, mit Schriften, Artikeln, Zitat en, Reden, von Leuten, die alle Begriffe der Demokratie und des Sozialismus zu demagogischen Schlagworten erniedrigen, die die Internationalität mißbrauchten: von den Handlungen einzelner, die unter zärtlicher Berufung auf die sozialistische Kameradschaft Sozialisten des feindlichen Auslands für Zwecke der deutschen Kriegsführung zu gewinnen unternahmen, bis zu den allgemeinen parteiamtlichen Kundgebungen internationaler Gesinnung, hinter denen keine ernstliche Absicht steckte, es sei denn die, draußen kriegsgegnerische Taten zu erzeugen, die bei ihnen selbst auch nur als leere Stimmung zu verhüten sie alles aufboten. Diese Marxanbeter haben es zuwege gebracht, daß das bedeutendste Organ der französischen Bourgeoisie im Kampfe gegen eine Marx-Feier in Frankreich, der Temps, Marx den perfidesten und gefährlichsten aller Deutschen nennen durfte; denn es sei der erste und glühendste jener Sozialdemokraten gewesen, die "dem Imperialismus jenseits des Rheins auf allen Gebieten gedient, die europäische Umfassung des Militarismus begünstigt haben, indem sie systematisch die revolutionäre Gefahr in allen Ländern hervorriefen, mit denen Deutschland sich eines Tages in Konflikt befinden konnte, während sie sorgfältig dieselbe Gefahr von ihrem eige-

222

nen Vaterland fernhielten." Das war zwar der Aberwitz einer in künstlicher Bosheit gesteigerten Unwissenheit, und die Denunziation hat auch die französischen Sozialisten nicht gehindert, ihre Dankbarkeit für den Deutschen Karl Marx zu bekennen, mitten im grauenhaftesten und drohendsten Anprall des Krieges; aber nur die Erniedrigung jener deutschen Partei hat es möglich gemacht, daß derartige Äußerungen nicht im allgemeinen Gelächter sich ducken mußten.

Solche Entwicklung des deutschen Sozialismus ist nicht die Wirkung marxistischer Lehren, sie hat vielmehr nur an den Tag gebracht, daß Marx im deutschen Proletariat, zumal in seinen Führer-Epigonen, nicht wahrhaft lebendig geworden ist. Wir sehen heute klar, daß es wesentlich die Schulung durch eine allmählich sich entseelende ungeheuer aufgedunsene Organisation gewesen ist, deren verhängnisvolle Wirkungen wir jetzt schaudernd erleiden: Eine Partei, die sich revolutionär nennt und doch in ihrer Leitung und Politik - bei aller betriebsamen Tüchtigkeit, fleißigen Gewissenhaftigkeit und erfolgreichen Geschäftsgewandtheit - ein ängstlich kleinbürgerliches Philistergebilde geworden ist, die jede Tugend haben mag, nur gerade die nicht, die der Inbegriff von Karl Marx ist: heroische Genialität. Indem sich die deutsche Sozialdemokratie jene politische Organisation gab, deren publizistische, finanzielle und wahltechnische Leistungsfähigkeit die Bewunderung der Welt erregte, ward sie unbewußt mehr und mehr eine bis zur Komik getreue Volksausgabe des Staats, in dem sie lebt, nur daß ihr gerade die Kraft fehlte, die dem herrschenden Staat die Macht erhielt: die militärische Exekutive. Zudem wurde die Organisation die Laufbahn fähiger Proletarier, in die sie aus dem Elend der körperlichen Lohnarbeit sich retten konnten, die einzige Zuflucht für alle jene unermeßlichen gebundenen Kräfte, für die ein Staatswesen ohne jede demokratische Auslese nicht ein mal ausnahms-

223

weise für sich selbst Verwendung hat. Das ist das Geheimnis der äußeren organischen Größe der deutschen Partei, die alle Kräfte des Proletariats für sich verbrauchen konnte, aber diese Gunst schließt auch die Ursache des inneren Verfalls in sich: die kleinbürgerlich gesicherte Existenz wurde unbewußt Ideal, Ziel und Bedingung aller politischen Erwägungen. Es war keine Partei mehr, die - mit geschäftlichen und Existenzrücksichten belastet - Welterschütterungen gewachsen war, und die zusammenbrach in der ersten großen Katastrophe, einem jener Erdbeben, in denen Karl Marx, bei allem menschlichen Entsetzen, doch, trotzig aufatmend, nur die Gelegenheit erblickt hätte, im brausenden Chaos die geschichtliche Mission des Proletariats zu erfüllen.

Und die jene Mission verrieten und zu vernichten trachteten, feierten Karl Marx!

So war es fast eine gnädige Fügung, daß wir Franz Mehrings Marx-Werk nicht zu dem Gedenktag, wie geplant, empfangen konnten, sondern daß der beschämende Feierlärm inzwischen vorübergegangen ist. Jetzt dürfen wir, unbeirrt durch äußeren zufälligen Anlaß, uns des Clara Zetkin als der "Erbin marxistischen Geistes" gewidmeten Buches freuen, in dem das Leben von Karl Marx in seiner erhabenen Tragik aufersteht, und eine neue größere Generation des deutschen Proletariats nicht nur den sicheren Führer zu den Gedanken und Schriften, den Kämpfen und Taten des Meisters, sondern auch den sicheren Weg zu sich selbst finden wird.

Marx' geistiges Lebenswerk war, die Entdeckung des Menschen, die die Revolution des 18. Jahrhunderts geleistet hat, zu vertiefen, zu erklären, zu festigen, zu realisieren. Er zeigt, wie die Menschen, die Masse der leidenden, besitzlosen Menschen, sich selbst zu entdecken, zu vermenschlichen vermöchten. Er scheucht die Köpfe und die Willen aus der Selbstmystifizierung

224

verworrener und verrucht diktatorischer Begriffe. Freiheit, die ganze Freiheit, die soziale Freiheit wird wissenschaftliche Notwendigkeit. Geschichte ist ihm das Gesamtleben der wirklichen Menschen in all ihren in gesetzlicher Einheit erfaßten tatsächlichen Beziehungen und Bedingungen. Wie Marx das Leben der Menschen unter der erstickenden Decke gauklerischer Ideologie hervorgeholt hat, so gilt es heute, sein Werk zu gewinnen, indem wir den Menschen erleben. Diese Aufgabe hat Mehring sich gestellt und in der ruhigen Bewegtheit und erfüllten Klarheit seines Stils vollendet. Sich dieses Lebens tätig ganz bewußt zu werden, das heißt, für das Proletariat aus einem organisierten Automaten zu einem bewußt wollenden lebendigen Organismus werden.

II.

Sternenfern ist die Persönlichkeit des Karl Marx, wie ihn Mehring nacherlebt, den Figuren, die heute behaupten, seines Geistes voll zu sein. Welch unbegreiflich unpraktisches Leben, dem so ganz die kühle Nüchternheit vernünftiger Gesinnungslosigkeit fehlt, in dem sogar die revolutionäre Leidenschaft nicht nur ein wildes Fieber der Pubertät ist - was das erfahrene Alter mit belustigter Herablassung schließlich als muntere Jugendsünde zu entschuldigen bereit ist -, sondern im Gegenteil aus jedem neu reifenden Jahrzehnt stärkere Nahrung und Kraft zieht. Ein Jüngling, von der Natur verschwenderisch ausgestattet mit allen Gaben des Körpers und Geistes, ein Sonntagskind des Märchens. Sorglos, ungehemmt, in glücklichen Familienverhältnissen aufwachsend, darf er mit frei sich dehnender Lunge alle geistige Luft der menschlichen Kulturen einsaugen. Nichts verkümmert seine Entwicklung. Das meistumschwärmte, schönste Mädchen der Stadt, aus vornehmer Familie, wird dem Studenten schon die verheißene Gefährtin seines Daseins. Seit

15 Eisner, Gesammelte Schriften I.

225

frühen Jahren ist er ein Menschenbezwinger; ihm eignet die Fähigkeit, die Hegel die magische Kraft der Seele nennt. Er hat eine ebenso unbändige Arbeitskraft wie Arbeitslust: er bewältigt im Fluge das Schwerste sein Kopf blüht von Entwürfen. Er vereint den grübelnden peinlichen Scharfsinn des Forschers mit der künstlerisch formenden Phantasie des Dichters. Er hat den leichten funkelnden Witz, mit dem der Schriftsteller die Kämpfe des Tages behauptet, und die tiefschöpferische Größe des Denkers, der Systeme aufbaut. Alle Türen öffnen sich ihm. Jede Höhe winkt ihm, wie im Fluge erreichbar. Überall zeigen sich ihm die Pfade mühelosen Aufstiegs.

Er aber folgt dem Stern in seiner Brust, jenem Daimonion des Sokrates, das die geheimnisvolle Führung des Genies übernimmt: Er ist für immer Revolutionär, Verkünder der proletarischen Weltbefreiung. So geht er, unbeirrt, keinen Augenblick schwankend, diesen Weg des Martyriums, das er nicht ächzend beklagt, sondern faustisch als Element seiner Größe verarbeitet. Er scheitert in seiner bürgerlichen Existenz. Er wird ins Exil gehetzt. Die Revolution bricht nach einem Frühling der Hoffnung schmählich zusammen. Nun wird ihm die Verbannung das Schicksal seines ganzen Lebens. Keine Not bleibt ihm erspart, keine Hemmung, kein Fluch der kapitalistischen Ordnung. Er gleitet mit seiner Familie bis an den Rand des Pauper-Elends, aus dem es keine Erhebung mehr gibt. Im Hause herrschen Schulden, Hunger, Krankheiten, Tod. Als ein Söhnchen stirbt, fehlt das Geld für seine Bestattung. Er flüchtet sich vor den Gläubigern und dem Pfänder in die umfriedete Stille der öffentlichen Bibliothek, in die er sich vergräbt, die ihm zum Reich der Freiheit wird. Politische Betätigung, nach der sein Herz verlangt? Ein leeres, zänkisches, eitel wahnhaftes Emigrantentreiben umlärmt ihn. Jahrelang muß er sich tatenlos in die Klause seiner Studien zurückziehen.

226

Er arbeitet alle Tage und Nächte; die Verkürzung der Arbeitszeit, die ihm Anfang und Vorbedingung der Befreiung des Proletariats ist, hat für sein Dasein keine Bedeutung, wie das Geld nicht für den Enthüller des Kapitals. Aber seine Arbeit hat keinen Markt, keinen materiellen, kaum einen ideellen. In seinen vormärzlichen Exilzeiten muß der Schriftsteller ahnungslos Unterkunft in einem Organ suchen, das von einem Spitzel ausgehalten wird; es gehört zur politischen Polizeitechnik, daß man revolutionäre Zeitungen und Zeitschriften gründet oder unterstützt, wenn nicht zu provokatorischen oder ablenkenden Zwecken, so in der Absicht, die Verschwörer gegen Staat und Gesellschaft unter Kontrolle zu haben, sie zu kennen. Eine der genialsten Urkunden politischen Schrifttums, der achtzehnte Brumaire, verdankt nur dem Zufall die Veröffentlichung, daß in Neuyork ein namenloser Proletarier, ein Schneider, seine Ersparnisse für den Druck hergibt.

Während er für ein amerikanisches Blatt frondet, übler behandelt als ein Heimarbeiter, dem die geleistete und geforderte Arbeit häufig nicht abgenommen wird und ertraglos bleibt, muß er Zeit und Stimmung in ärgerlichen politisch -literarischen Fehden verzetteln. Zwar wird seine wirtschaftliche Lage besser, zuletzt sorgenfrei. Aber bis zu seinem Tode hat er niemals eine selbständige Existenz gehabt; aus "eigener Kraft" hat er niemals sich und die Seinen ernähren können. Ohne die Freundschaft von Friedrich Engels, der nicht nur seine Mittel hergab, sondern auch seine besten Jahre dem "hündischen Kommerz" opferte, um diese Mittel für den Freund zu beschaffen, hätte Marx nicht arbeiten können; er wäre mit den Seinen jämmerlich zugrunde gegangen. Aber selbst da sein Einfluß zu wachsen beginnt, da man seine Bedeutung erkennt, welche Mühe hat Marx auch dann noch, auch nur einen Verleger, Drucker für seine Arbeiten zu gewinnen.

15*

227

Meist in geringen Auflagen erschienen, fanden sie noch weniger Abnehmer. Seine Freunde müssen sich mit rührend aufdringlichem Eifer bemühen, daß seinen Werken irgendein bescheidenes Echo in der Öffentlichkeit werde. Es ist noch nicht gar so lange her, daß einer der berühmtesten deutschen Professoren in seiner Geschichte der Nationalökonomie den Namen Marx nur in den paar Zeilen einer Fußnote erwähnt, in denen seine Wertkritik mit einer nachlässig autoritären Handbewegung als verfehlt abgetan wird. Und heute? Spekulative, kriegsmäßig "marxistische" Windbeuteleien werden in Millionen Zeitungsblättern gefeiert, und ihre Verleger haben nicht Papier und Arbeitskräfte genug, um den Bedarf neuer Auflagen zu befriedigen; und dieser ganze lärmende Erfolg nur deshalb, weil der gerissene Autor sich unter den Schutz von Karl Marx stellt, in dessen ausgeleertes Gehäuse er seine gelenkigen Glieder verbirgt. Freilich diese gescheiteren Nachfolger machen ihre Bücher auch schnell, handlich und bequem fertig. Der arme Marx aber hinterläßt sein Hauptwerk, an das er in unermüdlicher Arbeit, niemals sich selbst genügend, das letzte seiner Kraft hingegeben hat, als ein ungeheures Fragment; von den vier Büchern des Kapitals ist nur das erste bis zur Vollendung der Reife gediehen.

Ist endlich nicht auch der Politiker, der Kämpfer, der Revolutionär gestrandet? Er ist der Schöpfer der Internationale. Verging sie nicht in widrigem Streit? War es nicht alles in allem doch ein verfehltes Dasein? War es zweckmäßig, in einer stumpfen Welt die starre Aufgabe des Revolutionärs auf sich zu nehmen und von ihr nicht abzulassen?

Man hat seitdem in unsern Tagen die überraschende Entdeckung gemacht, daß revolutionäre Opposition die merkwürdige Eigenschaft besitzt, so lange von der herrschenden Gewalt auszuschließen, bis man sie nicht selbst erobert hat. Für den weltfremden Karl Marx

228

war das noch eine Selbstverständlichkeit. Er wußte, daß die "prinzipienreitende" Negation zwar durchaus nicht die reformerische Arbeit ausschließt, daß man im Gegenteil mit ihr alles erreichen kann, was ihr überhaupt, vor der Umwälzung von Grund aus , erreichbar ist; Marx hat ja für die Möglichkeiten wie für die Schranken der Reform erst die wissenschaftliche Grundlage und Begründung gegeben. Man könnte sogar

- ich eigne mir die erschütternd prophetische Kritik der deutschen Partei an, die Jaurès in Amsterdam übte! - auf dem parlamentarischen Boden gefahrlos erheblich weiter gehen, als es bis zum Kriege geschah, sofern nur zugleich der prinzipielle Gegensatz bis zu seinen letzten Folgerungen in dem lebendigen, tätig und ehrlich entschlossenen Willen der "Führer" gesichert ist und die Bewegung und Aktion der Massen ungestüm und unmittelbar zur Entscheidung und Macht drängt. Aber Marx wußte allerdings auch daß man in solch selbstgewählter Rolle auch auf die beglückende Möglichkeit verzichten muß, im Rate der Götter selbst den Drang nach "positiver Arbeit" ehrenvoll und angesehen schäumig zu befriedigen. Heute hat eine Partei, die ihre Abstammung von Marx durch Papiere und neuerdings auch durch zivilrechtliche Gerichtsurteile beweisen kann, eine Lösung für das Problem gefunden, den Konflikt zwischen Opposition und "positiver Arbeit" auszugleichen: man gibt die revolutionäre Überzeugung auf (wenn man auch die alten Papiere sorgfältig und stolz aufbewahrt!), und - siehe da! - nun braucht man nicht mehr abseits zu stehen, sondern kann überall dabei sein und herrlich mithelfen an der positiven Politik, die doch nur den kleinen übersehbaren Schönheitsfehler hat, daß sie gerade das positiv erstrebt, was man negierte, und das negiert, was man positiv erreichen wollte. Die Hauptsache ist gelungen, daß erlaubt wird, dabei zu sein! Man hat denn auch diese wonnereiche realpolitische Taktik des Hans

229

Dampf in allen Gassen (der überall und immer dabei ist) bis zu dem Grade zu steigern verstanden, daß noch Anfang 1917 das Amtsblatt der Generalkommission der Gewerkschaften dringend forderte, daß man den Kampf um das preußische Wahlrecht bis nach Beendigung des Kriegs vertage, eine Offenbarung, die augenscheinlich letzthin den Grafen Spee zu seiner unerwarteten Inspiration angeregt hat ...

Indem ich versucht habe, das Bild von Karl Marx nachzuzeichnen, wie es Mehring in vollkommener Beherrschung und kritischer Durchdringung des Materials geformt hat, erstand in seinem irdischen Schicksal der größte Geist, der bedeutendste politische Kopf des 19. Jahrhunderts, vor dessen universaler Bedeutung all die Staatsmänner, Gelehrten, Feldherren jenes Jahrhunderts, die bei Lebzeiten vergoldet und vergöttert wurden, verblassen und versinken. Ein künftiger Forscher, der die Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts schreibt, wird Deutschland das abschließende Epigramm widmen: Es zwang seinen gewaltigsten Genius, in der Verbannung zu leben.

III.

Marx ist die vollendete Einheit von Gedanke und Tat, von Forschung und Handlung. Er ist Kämpfer und Denker, oder vielmehr, er ist Denker, um Kämpfer zu sein. So stellt Mehring mit Recht den Menschen, den revolutionären Kämpfer dem Schriftsteller, Forscher, Entdecker voran. So stark ist der Eindruck der Überfülle dieses Mannes auf den, der sein Wesen und seine Leistung zu ermessen vermag, daß Mehring, obwohl sein Buch ein zuverlässiger, kundiger und kristallen durchsichtiger Kommentar ist für alles, was Marx geschrieben, wie für die Gesamtheit seiner geistigen Entwicklung, dennoch in beinahe verzagter Ehrfurcht darauf verzichtet, auf das Titelblatt zu schreiben:
Die Geschichte seines Lebens und seiner Schriften.

230

Nur die Geschichte seines Lebens kündigt er an, in dem Bewußtsein, daß selbst seine große Fähigkeit, das Wesentliche der Schriften aufzuspüren und lebendig anschaulich zu skizzieren, nicht mehr erreichen könne als bloße Andeutung, nicht eine erschöpfende, die Gedanken in all ihren Verflechtungen, in Ursprung und Weltwirken kritisch analysierende Darstellung.

Damit dies Leben in voller Frische erscheine, hat Mehring alle gelehrten Spuren seiner mühseligen Arbeit vieler Jahre getilgt und so jene edle Volkstümlichkeit erreicht, die jedem redlich Lesenden zugänglich ist, ohne daß die geringsten Zugeständnisse an die träge Bequemlichkeit einer abplattenden Erleichterung gemacht würden. Aber auch der Leser, der in den Urstoff vollständig eindringen möchte, findet in dem Quellenverzeichnis des Anhangs jede mögliche Förderung.

Welche Kunst Mehring in der Zergliederung der wissenschaftlichen Leistungen von Karl Marx entfaltet, mag man in den verhältnismäßig wenigen Seiten bewundern, auf denen es ihm gelingt, den Gedankengang des "Kapitals" aufzuzeigen. Für den zweiten und dritten Band wird er hier durch einen Beitrag von Rosa Luxemburg unterstützt, die mit leichter Hand in anregendster Form den spröden Stoff meistert. Natürlich können diese Anleitungen zum Lesen nicht das Studium des Werks selbst ersetzen, wohl aber erleichtern. Frau Luxemburg kann zwar die Lösung des vor dem späten Erscheinen des dritten Buches des Kapitals undurchdringlichen Problems der "durchschnittlichen Profitrate" geben, aber es ist undenkbar, auf einer knappen Seite den mühseligen Weg vom Mehrwert zu jener Ausgleichung der Profitrate nachzuscheiten, den Marx gehen mußte, um die letzte Erklärung zu finden, wie es möglich ward, daß sich das kapitalistische System in das dunkle Tyrannenreich mystischer Fetischgewalten verselbständigte, in dem

231

seine Existenzbedingung, die Aneignung unbezahlter Arbeit, der als Marktware gekauften Arbeitskraft völlig ausgelöscht schien. Wenn hier für eine künftige Auflage noch ein Wunsch übrig bleiben möchte, so der, einige Erläuterungen über die angewandte wissenschaftliche Methode der Marxschen Untersuchung (abgesehen von der "Dialektik") hinzuzufügen. Diese Methode ist zwar das klassische Verfahren aller Wissenschaft, wird aber noch immer nicht begriffen und ist der Ausgangspunkt aller gedankenlosen Einwendungen gegen ihre Ergebnisse. Ich meine vor allem die Aufklärung, was die "Gesetze", die - philosophisch gesprochen - reinen Gesetze bedeuten, die ihre Wahrheit in der Wirklichkeit der Erscheinungen nicht sowohl durch Bestätigungen wie durch Abweichungen beweisen: "Es ist," sagt Marx, bei der ganzen kapitalistischen Produktion immer nur in einer so verwickelten und annähernden Weise, als nie festzustellender Durchschnitt ewiger Schwankungen, daß sich das allgemeine Gesetz als die beherrschende Tendenz durchsetzt."

Die Geschichte des Lebens von Karl Marx und die Weltgeschichte seiner Zeit ist untrennbar. Mehring verfolgt die politisch-soziale Gesamtentwicklung der Jahrzehnte, die sein Leben umspannt, die geistigen Strömungen, die auf ihn einwirken, das Emporwachsen und die Konflikte der proletarischen Bewegung. Im Schatten Hegels, im Berliner Vormärz radikaler Eingänger und Sonderlinge, ringt sich gewaltig das geistige Bewußtsein des Jünglings zur ersten Klarheit durch. Das Alter sieht das Erstarken der nationalen sozialistischen Parteien, die nationalen Verfolgungen, das Sozialistengesetz. Von Anbeginn aber bis in die letzen Jahre lugt Marx scharfäugig und sehnsüchtig nach den Anzeichen der Erscheinung aus, die ihn intellektuell und gefühlsmäßig sein Leben lang beherrscht: der Weltrevolution. Zuletzt erhoffte er aus dem russisch-

232

türkischen Krieg von 1878 und aus der erwarteten Niederlage Rußlands dessen sozialen Zusammenbruch und soziale Umwälzung, von wo aus dann der Umschwung in ganz Europa sich fortpflanzen würde.

Die persönlich-literarischen und parteipolitischen Händel, in die Marx eingriff, versteht Mehring nicht nur in ihrer vergessenen, verwickelten Zusammenhängen zu entwirren und in einfachen Linien dem heutigen Leser durchsichtig und interessant zu machen, er steht auch seinem Helden in freier Unbefangenheit gegenüber. Der Historiker hat die Aufgabe, die Kant einmal in der Würdigung seiner Vorgänger dem Philosophen zuweist: Platon besser zu verstehen als dieser sich selbst. So übt Mehring Gerechtigkeit, indem er Männer, die Marx parteipolitisch bekämpfte, gegen Übermaß und Grundlosigkeit des Angriffs verteidigt. Ein Kämpfer, der in rastlos ringender Arbeit Klarheit gewonnen hat, wird notwendig zu Zeiten mit heftigerer Leidenschaft als die Gegner jene Freunde niederzuschlagen suchen, die gerade, weil sie dasselbe Ziel verfolgen oder vorgeben, ihm als die gefährlichsten Schädlinge der Sache erscheinen; denn deren Unklarheiten, Illusionen, Beschränktheiten' Torheiten drohen die gemeinsame Bewegung von innen heraus zu verderben und zu zerstören. Es ist zugleich die schlimme Eigentümlichkeit aller solcher Bruderkämpfe, daß sie selbst den Reinsten und Stärksten gelegentlich herabziehen. Sind diese Fehden aber geschichtlich geworden, so hat der Historiker die Pflicht, über dem Triumph des Siegers nicht das Recht des Besiegten zu vergessen. Mehrings ritterliche Unparteilichkeit, die im Buch . des Siegers den von Marx Überwältigten gerechte Würdigung widerfahren läßt, verdient auch dann Anerkennung, wenn die Ergebnisse seiner Forschung nicht immer überzeugen. So bleibt für mich, im Gegensatz zu Mehring, die Politik des letzten Lassalle und noch mehr die Schweitzers auch in ihrer geschicht-

233

lichen Bedingtheit heute mehr denn je unannehmbar. Mir scheint ein nicht zu erklärender Widerspruch zwischen dem elften Kapitel des Marxbuches, das die preußische Politik der sechziger Jahre behandelt, und dem vierzehnten zu bestehen, das die Kriegsprobleme von 1870 darstellt. Mehring interpretiert auch die Äußerungen von Marx und Engels in ihrem Briefwechsel zu wohlwollend zugunsten Schweitzers, dessen Fähigkeiten die beiden stets anerkannt, dessen Charakter und Politik sie aber, ohne jede Schwankung, schroff abgelehnt haben. Was sie über die Politik Lassalles dachten, hat Marx in dem jüngst von Kautsky veröffentlichten Brief an Kugelmann endgültig zusammenfassend ausgesprochen. Noch im Jahre 1894 hat Engels den Lassalleanern den sozialistischen Charakter abgesprochen; weil sich in Deutschland die Lassalleaner Sozialdemokraten nannten, hätten Marx und er sich stets als Kommunisten bezeichnet; obwohl die Masse der Parteianhänger Lassalles "mehr und mehr die Notwendigkeit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel einsah, blieben die spezifisch lassalleschen Produktionsgenossenschaften mit Staatshilfe doch der einzig öffentlich anerkannte Programmpunkt. Für Marx und mich war es daher rein unmöglich, zur Bezeichnung unsres speziellen Standpunkts einen Ausdruck von solcher Dehnbarkeit zu wählen." Immerhin, man kann heute wenigstens jene Politik Lassalles und seines Nachfolgers begreifen als die Verzweiflungstaktik der Ungeduld von Männern, die in einem industriell noch wenig entwickelten Lande mit einem sehr geringen Anhang aufgeklärter Arbeitermassen die Welt aus den Angeln zu heben suchten, indem sie den damals tatsächlich tiefgehenden Konflikt zwischen der Bourgeoisie und dem Junkertum ausnutzten. In ihrer Politik war doch Überlegung, Energie und die Möglichkeit unmittelbarer Erfolge. Welch Absturz der sozialdemokratischen Staatsmänner von heute, die,

234

in einem durch die Industrie sozial beherrschten Reiche, verfügend über große organisatorische, parlamentarische, journalistische und finanzielle Mittel in der Wende geschichtlicher Entscheidung das Proletariat in das Lager der Gegner überführten, deren innere Gegensätze nur noch die Oberfläche kratzen während ihre politische Einheit und Richtung seit Jahrzehnten durch den Pakt des feudalen Agrariertums mit der feudalisierten Industrie gegeben ist. Erwägt man diese beispiellos unfähige und verdächtig zersetzende politische Führung, die sich unmäßig weise in ihrer illusionsfreien Realpolitik dünkt und den alten Grundsätzen dabei treu geblieben zu sein behauptet; eine Führung die mit nachtwandlerischer Sicherheit an allen Fenstern entlang gleitet, wo ergiebige Güsse für den zudringlichen Liebhaber bereitstehen, - so ist man heute fast geneigt, gegenüber dieser opportunistischen Irrealpolitik von Tölpeln die alte wirkliche Realpolitik der Lassalleaner zu verteidigen.

IV.

Mit besonderer Aufmerksamkeit wird man in Mehrings Marx-Buch die Seiten über den Krieg 1870/71 lesen. Mehring hat die Auffassung von Marx in vollkommener und umfassender Sachlichkeit geklärt. Man vergleiche mit dieser Zeichnung geschichtlicher Wahrheit, was neue Marxschriften von Autoren sozialistischer Vergangenheit und über diese Angelegenheit zu sagen wissen. In dem mageren , aber deshalb nicht inhaltschweren Heft eines der zynischen Angestellten der Parvus-Wumba wird diese offenbar ganz unwesentliche Episode mit Schweigen übergangen, abgesehen von der bedeutsamen Mitteilung, daß Sedan am 2. September gewesen ist; außerdem wird Marx zitiert, wie er den französischen Freunden riet, die neu entstandene Republik , angesichts des Feindes, nicht durch ein soziale Revolution zu erschüttern. Noch schlimmer

235

steht es um ein Marx-Brevier' das im Vorwärts-Verlag erschienen ist; hier geben die gewählten Zitate scheinbar ein objektives Bild, in Wirklichkeit aber sind sie eine Lappenverkleidung gegenwärtiger regierungs-sozialistischer Kriegspolitik' und müssen den Nichtkenner der Materie gründlich in die Irre führen.

Marx begnügt sich nicht mit der aufregenden Enthüllung, daß der Krieg in den kapitalistischen Gegensätzen verursacht sei (er enthüllt es nicht einmal); daß die Herrschenden drüben wie hüben gleich schuldig seien, und daß deshalb das Proletariat jeden Landes die Kriegspolitik der eigenen Schuldigen - zu bekämpfen? nein, - zu unterstützen habe. Marx prüft den geschichtlichen Sachverhalt in allen Einzelheiten und Zusammenhängen. Er verkennt niemals die Bedeutung leitender Persönlichkeiten (in deren Charakteristik er vielmehr seine höchste literarische Kunst bewährt; man lese seine Palmerston-Aufsätze der fünfziger Jahre!) Er nimmt eindeutig Partei - immer bestimmt von seinem obersten Leitgedanken: der proletarischen Revolution. Er hält die Kriegsaufgaben des Proletariats auch nicht damit erledigt, daß es die Regierungen in Wort und Schrift ersucht, die Friedenshand aus zustrecken - wobei denn darauf zu sehen sei, daß auf keinen Fall die nationale Friedenshand ärmer in die gewohnte, Faustlage zurückkehrt -, sondern er züchtigt im Gegenteil die französischen Friedenshandausstrecker, die Thiers, Jules Favre, Trochu als Verräter an der nationalen Verteidigung, deren Vorkämpfer zu sein sie sich vor der Öffentlichkeit rühmten. Das Sonderbarste aber ist, daß sich in allen Kundgebungen und Äußerungen von Marx über die 1870er Kriegs- und Friedenspolitik (mit einer Ausnahme!) kein einziges wirtschaftliches Argument findet; er ahnt nicht, daß es, im Geiste der Marxschen Lehre, die Aufgabe des Proletariats sei, national die durch die gewerkschaftliche Tätigkeit erreichte Lohnhöhe zu

236

verteidigen, oder die Beschaffung von Rohstoffen und handelspolitische Interessen zu schützen oder gar die "höhere Entwicklungsform des Kapitalismus", die in der Verbindung von Finanzkapital und Industrie liegt, zum Siege zu führen, und daß es deshalb die marx-gewollte Sendung des deutschen Proletariats sei, zunächst einmal die rückständige englische Weltherrschaft durch die auf dem Wege zur sozialen Weltrevolution vorgeschrittene Macht Deutschlands zu ersetzen. Aber einmal spricht Marx doch von wirtschaftlichen Interessen, in jenen Sätzen nämlich, da er sich mit dem französischen Großindustriellen Pouyer-Quertier beschäftigt, der als Friedensbote mit Jules Favre zu Bismarck nach Frankfurt wallfahrtete, mit dem festen Entschluß, im Interesse seiner Baumwollspinnerei Schutzzölle gegen - Elsaß-Lothringen bei Bismarck durchzusetzen. Marx nennt ihn einen Mann, "der die Konterrevolution als ein Mittel ansah' um den Arbeitslohn in Rouen herunterzudrücken, und die Abtrennung französischer Provinzen als ein Mittel, den Preis seiner Waren in Frankreich heraufzuschrauben". Welche Verkennung eines Menschen, der offenbar als einziger (Marx inbegriffen!) damals die Gabe besessen hat, über Krieg und Frieden - marxistisch zu denken! Im übrigen, es gibt gegenwärtig keine Marxsche Schrift, die eifriger verdiente gelesen zu werden, als der Bürgerkrieg in Frankreich aus dem Mai 1871.

Mehring würde nicht die Eignung haben, eine Natur wie Karl Marx zu erfassen, wenn er nicht selbst auch die Kraft des Grollens, Zürnens, Hassens hätte. Im Text des Buches führt er freilich keine Fehden gegen Zeitgenossen, die ihm sonst parteigenössisch verbunden sind, nur in ein paar Nebenbemerkungen flackert rasch die Erinnerung alten Unmuts auf. Aber in der Vorrede und den Anmerkungen wetterleuchtet es grell, ein Nachfeuer polemischer Gewitter, die mit der Spannung, aus der sie entstanden, vorübergegangen

237

und vergessen sind. Hier wird der unbefangene und kritische Leser sich genau so zu dem Verfasser verhalten, wie Mehring selbst gegen Marx verfährt: er wird sich selbst die Freiheit historischen Schlichtens nehmen, in diesen persönlichen Kämpfen Recht und Unrecht abzuwägen und sich die eigene Meinung über den Grad und die Ausdehnung des Mehringschen Urteils auch dann vorbehalten, wenn er selbst in dem besonderen Streitfall das Recht auf seiten Mehrings sieht ...

Die Welt hat jetzt die erste wissenschaftliche Biographie von Karl Marx. Ein Werk strengster wissenschaftlicher Forschung, ist es aber und soll es sein, ein Buch für das Proletariat. Der heillose Aberglaube, daß Arbeiter mit den Suppenwürfeln dürrer Broschüren abgespeist werden müssen, daß sie vor dicken Büchern eine Scheu haben, wird hoffentlich an dem Buche Mehrings zuschanden werden. Die Arbeiter, die die besten Stunden ihres ganzen Lebens an die sinnlose Arbeit für den Profit des Kapitalisten vergeuden müssen, haben wahrhaftig mehr Anlaß als irgendeine andere Klasse, die karge Zeit ihrer Muße der höchsten geistigen Erhebung hinzugeben. Nur dann haben sie, auch in dem Grauen heutigen Elends, ein lebenswürdiges Dasein, nur dann können sie auch zur Höhe und Reife ihrer geschichtlichen Aufgabe emporwachsen. Die großen Probleme des menschlichen Geistes, der Wissenschaft und Gesellschaft in mageren Bettelsuppen hastig hinunterschlingen wollen, heißt sich mit intellektuellem Nahrungsschwindel aufblähen, ohne einen Gran echter Kraft zu genießen.

Ich weiß nicht, ob an der älteren Generation noch viel zu erziehen ist. Die Stunde wird ja in gar nicht ferner Zukunft kommen, wo sich die "bewährten Führer" nicht genug werden beeilen können, die verlernte Sprache der "internationalen, revolutionären, völkerbefreienden" Sozialdemokratie wieder zu proben. Aber niemand wird das mehr ernst nehmen. Ich wünsche

238

Mehrings Buch vor allem die junge Generation (in die ich die jung gebliebene einrechne) als Leser; - die Generation, die sich nicht mehr damit bescheiden wird, in frühem Vereinsdrill schnellfertig und gefügig ihre Jugend bloß für die spätere Einreihung in die verödeten Organisationen der "Erwachsenen" herzugeben, sondern die in ihrem eigenen Rechte lebt, die Sturm und Gärung, Kraft und Begeisterung in sich fühlt, die herrlichen Regungen jener gütigsten und wunderbarsten Naturgewalt: der ewigen Regeneration des Menschen in der Jugend, die es vollbringt, daß -trotz der gesellschaftlichen Zustände - immer wieder Leben da ist, das zum Höchsten langen will.

Karl Marx, dessen Jugendfeuer erst an dem Tage schwand, da sein Leben erlosch, und sein greiser Biograph, dessen Daimonion in ihm die Altarflammen unzermürbter, tapferer und freier Menschlichkeit hütet, sind berufen, diese neue Generation des Proletariats zu hellerem Wesen, größeren Aufgaben, kühneren Wagnissen und reichsten Erfüllungen zu führen.

Denn wir bedürfen der Genialität der Klasse!

239