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Theorien und Phantasien vom ewigen Frieden.

... da dann durch Vermischung der Geschlechter im ganzen das Leben unserer mit Vernunft begabten Gattung fortschreitend erhalten wird, unerachtet diese absichtlich an ihrer eigenen Zerstörung (durch Kriege) arbeitet; welche doch die immer an Kultur wachsenden vernünftigen Geschöpfe selbst mitten im Kriege nicht hindert, dem Menschengeschlecht in kommenden Jahrhunderten einen Glückseligkeitszustand, der nicht mehr rückgängig sein wird, im Prospekt unzweideutig vorzustellen.

Kant, Anthropologie 1789.

Träume vom ewigen Frieden begleiten die Menschheit durch die Wirklichkeiten ewigen Krieges. Dichter, Propheten, Philosophen singen, weissagen, lehren durch die Jahrtausende von dem goldenen Zeitalter, das die einen, die sentimental Rückwärtsgewandten, in den Anfang der Dinge als das für immer verlorene Paradies setzen, die anderen, die tätig Revolutionären, als Idee, als menschliche Aufgabe, als Kampfziel in die Zukunft verlegen.

Als im 18. Jahrhundert die mächtige Kritik der Aufklärung, die alle Dinge und Erscheinungen unter das unbestechliche Urteil, der menschlichen Vernunft stellten, die Schichten europäischer Bildung erfaßte; war niemand von den bedeutenden Geistern, der nicht mit allen Waffen beweisenden Verstandes und er-leuchtender Sittlichkeit den Aberwitz des Krieges bekämpft hätte. Vor dem Hohn eines Voltaire zerrannen alle Gründe, mit denen die Notwendigkeit und Gottgewolltheit der Kriege gerechtfertigt wurde; und wenn

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er aus der Heiligen patriotischen Heldentums, der Jungfrau von Orleans, die ausgelassene Abenteuertravestie eines auf anderem Felde der Ehre von der Gefahr des Fallens bedrängten derben Bauernmädchens machte, so war das wiederum nur eine Polemik gegen Krieg und Kriegsromantik. Aber wie wenig diese Gegenbeweise der ernst lehrenden Vernunft und des dreist entblößenden Gelächters das Geschehen der Welt beeinflußte, wird grell durch die Tatsache veranschaulicht, daß Voltaires Pucelle nirgendwo so entzückte, wie im Kreise Friedrichs II. von Preußen. Wie dann dieser gekrönte Schüler Voltaires die härtesten und boshaftesten Worte gegen den Krieg stilisiert hat, ohne dadurch gehindert zu werden, seine Regierung mit einem Angriffskrieg zu beginnen, der dann Europa in Flammen setzte. Und wiederum im Alter, da er nach den Verwüstungen des Siebenjährigen Krieges einsam und verbittert, in düstrem Menschenhaß, auf seinem Ruhme hockte, bekannte er sich als echter Schüler der französischen Enzyklopädisten, predigt, wenn auch mit wenig Zuversicht, wie ein Apostel des Abts St. Pierre (der ein Paradies des Menschenglücks gedichtet hatte) den ewigen Frieden, und spricht von Fürsten als von Anführern von Taugenichtsen, die nur aus Not gedungene Henker werden, um das ehrbare Handwerk der Straßenräuber zu treiben.

Aber seit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, der die Vereinigten Staaten als neue demokratische Republik von England loslöste, bemächtigt sich das Problem mit steigender Kraft der Köpfe. Der Universalgeist des 17. Jahrhunderts, Leibniz, hatte noch gemeint: "Der ewige Friede paßt als Aufschrift über Kirchhofspforten, denn nur die Toten schlagen sich nicht mehr." Jetzt erlebte die Welt, im Tiefsten erschüttert, zum erstenmal wieder das Schauspiel, daß der Krieg als revolutionärer Freiheitskampf eines ganzen Volkes geführt wurde, während er von der

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andern Seite als ein durch gedungene, überallher zusammengeraffte, von ihren Landesvätern gewaltsam gegen Säcke Goldes verkaufte Söldner verübtes Massenverbrechen erschien. Durfte ein solcher Krieg roher Gewalt gegen ein Volk, das frei sein wollte, noch fürderhin in der Menschheit geduldet werden? Und war es nicht undenkbar, daß freie Völker selbst Eroberungs und Unterdrückungskriege in Zukunft führen würden? Indem Klopstock die Humanität der Kriegsführung der Amerikaner feiert, sieht er in ihr zugleich die Ahnung des ewigen Friedens:

O dann ist, was jetzo beginnt, der Morgenröten schönste:
Denn sie verkündiget
Einen seligen, nie noch von Menschen erlebten Tag,
Der Jahrhunderte strahlt
Auf uns, die noch nicht wußten, der Krieg sei
Das zischendste, tiefste Brandmal der Menschheit.

Wie dann der von England geführte und besoldete Krieg des alten Europa gegen die französische Revolution ausbrach, vertiefte sich jener Abscheu gegen einen Krieg, in dem die Freiheit erdrosselt werden sollte. Und wenn am Ausgang des 18. Jahrhunderts die Idee des ewigen Friedens zum erstenmal zu einem ernsten wissenschaftlichen System erhoben wurde, so stand hinter den fast nur juristischen Formeln der leidenschaftliche Mensch, der schützend die Flügel seines Geistes über die Sache der französischen Revolution breiten wollte.

Es ist ein selten mit hinreichender Klarheit erkannter Zusammenhang, daß Kant seinen philosophischen Entwurf zum Ewigen Frieden, mit dem er seinen ungeheuren Menschheitsbau der Vernunft krönte, unmittelbar nach dem Baseler Frieden vom April 1795 niederschrieb. Der Philosoph war unendlich beglückt über diesen Frieden, den Preußen mit den Jakobinern

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abschloß; und zum Schutze der Republik - an die Preußen das rechte Rheinufer bedenkenlos ausgeliefert hatte - spann er den, geschichtlich beurteilt, für Kants Vaterland äußerst schimpflichen Frieden zu dem Völkervertrag eines ewigen Friedens aus. Wie sehr die Schrift die Stimmung der Zeit traf, beweist ihr großer buchhändlerischer Erfolg. In Deutschland waren zwei Auflagen sofort vergriffen, französische, englische, dänische Übersetzungen erschienen alsbald.

Schon zuvor, im Jahre 1793, hatte Kant in einer Abhandlung, in der er sich gegen den "Gemeinspruch" wandte: "Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis" - die Entwicklung der Menschheit zu einem Völkerbund gezeichnet. Er hatte Moses Mendelssohn widersprochen, der den Fortschritt der Menschheit leugnete und seines Freundes Lessing Gedanken von einer Erziehung des Menschengeschlechts zu immer höheren Entwicklungen als Hirngespinste verwarf ("Wir sehen", schrieb Mendelssohn, "das Menschengeschlecht im ganzen betrachtet, kleine Schwingungen machen; und es tat nie einige Schritte vorwärts, ohne bald nachher mit gedoppelter Geschwindigkeit in seinen vorigen Zustand zurückzugleiten"). Kant aber stimmt Lessing zu. Gerade die Not der beständigen Kriege werde die Menschheit selbst wider Willen dahin bringen, in die weltbürgerliche Verfassung eines allgemeinen Friedens zu treten, zumal die wachsenden Heere immer höhere Kosten verursachten.

In seiner Schrift Zum ewigen Frieden, deren ironische Vorbemerkung nur eine vorsichtige Schutzmaßnahme ist, um den revolutionären Charakter der Gedanken zu verdecken, entwirft Kant den ausgearbeiteten Vertrag eines ewigen Friedens. "Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören - lautet eine der ersten Bestimmungen des Vertrags: "Denn sie

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bedrohen andere Staaten unaufhörlich mit Krieg durch die Bereitschaft, immer dazu gerüstet zu erscheinen; ... und indem durch die darauf verwandten Kosten der Frieden endlich noch drückender wird als ein kurzer Krieg, so sind sie selbst Ursache von Angriffskriegen, um diese Last loszuwerden." Nur eine Volkswehr soll verstattet sein: "Ganz anders ist es mit der freiwilligen periodisch vorgenommenen Übung der Staatsbürger in Waffen bewandt' sich und ihr Vaterland dadurch gegen Angriffe von außen zu sichern." Der Friedenszustand zwischen den Staaten setzt die Freiheit in ihrem Innern voraus: "Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein." Da in solcher Verfassung das Volk selbst über Krieg und Frieden zu entscheiden hat, "so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten . . . sie sich bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen".

Die erste Stufe der Entwicklung wäre ein Völkerbund, aus dem dann allmählich eine Weltrepublik hervorwächst.

"Bei dem Begriffe des Völkerrechts, als eines Rechts zum Kriege, läßt sich eigentlich gar nichts denken (weil es ein Recht sein soll, nicht nach allgemeingültigen äußern, die Freiheit jedes einzelnen einschränkenden Gesetzen, sondern nach einseitigen Maximen durch Gewalt, was Recht sei, zu bestimmen), es müßte denn darunter verstanden werden: daß Menschen, die so gesinnt sind, ganz recht geschieht, wenn sie sich untereinander aufreiben und also den ewigen Frieden in dem weiten Grabe finden, das alle Greuel der Gewalttätigkeit samt ihren Urhebern bedeckt."

Kants Schrift fand ein tief hallendes Echo in Herder; der leidenschaftlicher als Kant und auch Fichte, mit diesen beiden die drei revolutionärsten deutschen Geister der Zeit darstellt. Herder - sein wahres Wesen erkennt man erst aus den, dem Zwang der poli-

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tischen und persönlichen Verhältnisse zum Opfer gefallenen und im Nachlaß vergrabenen Stellen seiner Schriften - entwirft die Phantasie einer "irokesischen Anstalt", die unter Indianerstämmen den ewigen Frieden verwirklichen wollte. "Eine Geschichte vom wahren Ursprunge der Kriege in Europa seit den Kreuzzügen, schreibt er, wäre . . . das niedrigste Spottgedicht, das geschrieben werden könnte." Er will zum Abscheu gegen den Krieg erziehen: "Der Krieg, wo er nicht erzwungene Selbstverteidigung, sondern ein toller Angriff auf eine ruhige, benachbarte Nation ist, ist ein unmenschliches, ärger als tierisches. Beginnen, indem er nicht nur der Nation, die er angreift, unschuldigerweise Mord und Verwüstung drohet, sondern auch die Nation, die ihn führet, ebenso unverdient als schrecklich hinopfert. Kann es einen abscheulicheren Anblick für ein höheres Wesen geben, als zwei einander gegenüberstehende Menschenheere, die unbehelligt einander morden?" "Alle edlen Menschen sollten diese Gesinnung mit warmem Menschengefühl ausbreiten, Väter und Mütter ihre Erfahrungen darüber den Kindern einflößen, damit das fürchterliche Wort Krieg, das man so leicht ausspricht, den Menschen nicht nur verhaßt werde, sondern daß man es mit gleichem Schauder als den St. Veitstanz, Pest, Hungers-not, Erdbeben, den schwarzen Tod zu nennen oder zu schreiben, kaum wage." Herder fordert, daß man die Achtung gegen den Heldenruhm vermindert. Der Heldengeist sei nicht nur ein Würgengel der Menschheit, sondern verdiene auch in seinen Talenten lange nicht die Achtung und den Ruhm, die man ihm aus Tradition von Griechen, Römern und Barbaren her zolle. Man solle die falsche Staatskunst, die Diplomatie verabscheuen. In geläutertem Patriotismus müsse jede Nation nur in sich selbst groß, schön, edel, reich, wohlgeordnet, tätig und glücklich werden. Jede Nation müsse es unangenehm empfinden, wenn eine

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andere Nation beschimpft und beleidigt wird. "Wächst dies Gefühl, so wird unvermutet eine Allianz aller gebildeten Nationen gegen jede einzelne anmaßende Macht." Freier Handel für alle Völker. "Dazu ist das Weltmeer da; dazu wehen die Winde; dazu fließen die Ströme. Sobald eine Nation allen andern das Meer verschließen, den Wind nehmen will, ihrer stolzen Habsucht wegen, so muß ... der Unmut aller Nationen gegen eine Unterjocherin des freiesten Elements, gegen die Räuberin jedes höchsten Gewinnes, die anmaßende Besitzerin aller Schätze und Früchte der Erde erwachsen."

So ist für Herder der ewige Frieden letzten Endes eine Aufgabe menschlicher Erziehung im Geiste der Humanität. Sind aber solche Träumereien nicht heute ganz wesenlos geworden? Sind sie nicht lediglich geschichtliche Urkunden aus der klassischen Zeit des staatlosen deutschen Gedankenlebens?

Vielleicht sind wir den Kant und Herder viel näher, als es scheinen will. Die damaligen Theorien und Phantasien vom ewigen Frieden wuchsen unmittelbar aus der Not eines Weltkrieges auf, der über ein Jahrzehnt die Erde verwüstete. Ist es nicht schließlich doch der Gedanke, der uns den Weltkrieg von heute nicht nur ertragen, sondern selbst mit begeisterter Hingabe uns ihm opfern läßt, - der Gedanke, die Hoffnung, die Zuversicht und dazu das Bewußtsein organisierter Macht: Daß es der letzte Krieg sei!

Weihnachten 1914.

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